Die Zeugnisse und meine verbesserten Deutschkenntnisse belegten die erfolgreich genutzte Zeit im Sprachkurs, und so saß ich Anfang September 1989 voller Erwartungen in einer anderen Murnauer Schulbank. Gemeinsam mit insgesamt 45 Spätaussiedlern nahm ich mir vor, durch fleißiges Lernen am Staffelsee Gymnasium in zwei Jahren das bayerische Abitur in den Händen zu halten. Hätte ich zu dieser Zeit bereits den Status der Deutschstämmigkeit besessen, hätte ich mir diesen schulischen Schritt sparen können.
Das in der Tschechoslowakei erlangte Fachabitur wäre durch den amtlichen Stempelabdruck „Berechtigter nach dem Bundesvertriebenengesetz für das Studium an der Münchner Fachhochschule“ ausreichend gewesen. Mein „geliebter“ Beamter im Ausgleich-samt benötigte aber für die Entscheidung noch zahlreiche aussagekräftigere Unterlagen und viel mehr Zeit. Vorläufig konnte ich also tatsächlich noch nicht studieren und nutzte den Aufenthalt in der Warteschleife da-her zur Förderung des geistigen Wachstums. Das Erlangen der Allgemeinen Hochschulreife und die Möglichkeit des Universitätsstudiums reizten mich. Ganz nach meiner Prämisse: „Was du im Gehirn hast, kann dir keiner wegnehmen“, nahm ich die Herausforderungen an.
In dem schönen Gebäude des Staffelsee-Gymnasiums wurden für uns, junge deutschstämmige Erwachsene, zwei Klassenräume eingerichtet. Die Aufnahmevoraussetzungen lauteten: Anerkennung als Berechtigter nach dem Bundesvertriebenengesetz, der Nachweis eines mittleren Schulabschlusses und ausreichende Deutschsprachkenntnisse. Ihr wisst bereits, den Vertriebenen-Ausweis, die zuvor aufgezählte Voraussetzung, besaß ich noch nicht. Ich konnte allerdings trotzdem anfangen. Es war tatsächlich ein kleines Pokerspiel. Das fachgerecht bestandene Abitur hätte im Falle der Ablehnung meiner Deutschstämmigkeit das Schließfach des Gymnasiums nie verlassen, ich hätte es nicht ausgehändigt bekommen. Im „schlimmsten“ Falle hätte ich „nur“ sehr viel gelernt...
Die Fitteren landeten in dem einjährigen Sonderlehrgang, diejenigen, die ein größeres Lern- oder Sprachdefizit hatten, bekamen zwei Jahre Schulzeit eingeräumt.
Heraus mit der Wahrheit! Ich wurde stolze Schülerin des zweijährigen Sonderlehrgangs. In Mathematik hatte ich praktisch keine Ahnung, kaum Grundkenntnisse. Dieses Fach war für die Fachabiturprüfung der landwirtschaftlichen Schule meines Heimatlandes nichtrelevant gewesen, und auch das Niveau des „Alibi-Unterrichts“ hätten wir als eine große Katastrophe bezeichnen können. Unser damaliger Mathematiklehrer behauptete skrupellos, wir Mädels würden Mathematik sowieso nie beherrschen müssen und hatte uns ungefördert links liegen lassen. Dementsprechend war ich für das bayerische Abitur ausgerüstet. Nämlich gar nicht!
Anfänglich tat ich mir wahrlich sehr schwer, und die Sechser flogen mir zu wie Schwalben. Auch Englisch nahm zum ersten Mal in meinem Leben einen Platz im Stundenplan ein. Zuerst plante ich, meine Kenntnisse der neuen Fremdsprache auf Abiturniveau zu steigern. Es wurde schnell klar: das Ziel war nicht realisierbar. Im ersten Lehrjahr bekamen wir zu unserer großen Enttäuschung einen nicht motivierten Englischlehrer, der uns anhand von Kinderlehrbüchern unterrichtete. Er hatte keine Lust, sich für die neue Aufgabe weiterzuentwickeln. Seine pädagogischen Fähigkeiten entsprachen nicht unserem Alter, er demotivierte überwiegend, und so beklaute er uns um ein ganzes wertvolles Lehrjahr.
Im folgenden Jahr übernahm unser geliebter Deutschlehrer Herr Müller seine Aufgabe. Er unternahm, was in seinen Kräften stand. Das Versäumte konnte er in den bereits reduzierten Englisch-Unterrichtsstunden nicht nachholen. Der Grundstein für diese Weltsprache wurde trotzdem gelegt, und später holte ich in vielen Kursen der Münchner Volkshochschule das nötige Wissen nach.
In diesem Rahmen kam ich mit der Suggestopädie-Lernmethode in Berührung, einer spielerischen Lernmethode, die auf den Einsatz aller menschlichen Sinne schwört. Diese Art des Lernens taugte mir ungemein und nahm mir vor allem die Scheu vor dem Sprechen.
Dank dieser Methode erreiche ich im „Ernstfall“ neue Geschäftspartner, die von mir ansonsten nur höflich angelächelt werden könnten.